In: FUGE Band 1, „Das westliche Dilemma“, Paderborn, Schöningh, 2007, S. 96f.
AUTOR
Jürgen Büscher
»Wie selbstverständlich wird zur Rechtfertigung revolutionärer Politik eine religiöse Sprache benutzt, vom Altar des Vaterlandes bis zur Heiligkeit der Nation. Die Metamorphose der als Kritik herrschender Verhältnisse begonnenen Aufklärung zu einer politischen Religion ist damit vollendet. Und das nicht ohne das Zutun der Aufklärer selbst. Wer eine ihrer Schriften aus der Zeit liest, mit denen Vorurteile bekämpft werden sollten, bemerkt rasch, wie viele Vorurteile und quasireligiöse Verheißungen darin stecken. Später, im 19. Jahrhundert bei Saint-Simon und gerade bei Comte entstehen im Nachklang der Aufklärung neue totalitäre Tendenzen. Die Befreiung von metaphysischen Annahmen soll nun dazu führen, dass die Sozialwissenschaft die moralischen und politischen Probleme des Menschen löst. Die verschiedenen »Sklaven Gottes«: Katholiken, Protestanten, Deisten und andere Wirrköpfe, müssen allerdings von der politischen Herrschaft ausgeschlossen werden, damit nur die übrig bleiben, die sich als menschliche Messiasse verstehen, dazu berufen, den »Plan der Geschichte« zu verwirklichen.
Das Christentum ist realistischer als die Aufklärung. Trau keinem Individuum, das zu mächtig ist. Trau der Masse der Menschen ebenso wenig. Vom Menschen wird Demut und Mäßigung in dieser Welt gefordert. Eine perfekte City of Man kann es nicht geben. Das Beste, was wir verwirklichen können, ist immer weniger als das, was wir für notwendig ansehen. Da ist kein Platz für menschliche Hybris und schon gar nicht für aggressive Politik. Darum mussten die Revolutionäre den Glauben an Gott als Schutzhütte des Gewissens, als Altar einer Loyalität, die nicht cäsarisch ist, in der heißen Phase der Revolution als konterrevolutionär ansehen und mit der Entfernung des Kopfes bestrafen. Eric Voegelin sagt: »Das menschliche Wesen in seiner Unzulänglichkeit braucht Schutz gegen die Konstrukte der Intellektuellen«, auch gegen die der Aufklärer.«