In: FUGE Band 1, „Das westliche Dilemma“, Paderborn, Schöningh, 2007, S. 81f.
AUTOREN
Michael Hölzl
Graham Ward
»Wir möchten versuchen zu zeigen, dass wir, um unsere heutige, als postsäkular apostrophierte Lebenssituation zu verstehen, die semantischen Veränderungen in der Struktur des Glaubens als Überzeugung und deren Auswirkungen auf den Glauben als Vertrauen in den Blick nehmen müssen. Wenn sich der Charakter von Wissen, Erwartung, Neugier und rationaler Wahrscheinlichkeit ändert, dann ändert sich zugleich der Charakter eines Glaubens als Überzeugung. Konkretisieren wir: Die aus der Aufklärung hervorgegangene Säkularität zeichnete sich durch die Akkumulation und die Vervollkommnung von Wissen, durch wissenschaftliche Forschung, empirisches Experiment, technischen Fortschritt, die Sammlung positiver Daten und das Streben nach Beherrschung der Natur aus. Heute tritt an die Stelle der Beherrschung der Natur die Sorge um die Natur und die Notwendigkeit des Umweltschutzes. Schlussfolgerungen aus empirischen Daten werden umso anfechtbarer, je stärker wir uns der Problematik der Interpretation von Statistiken und der schieren Menge unterschiedlicher Informationen und ihres gegenseitigen Einflusses aufeinander bewusst werden. Technischer Fortschritt war bisher stets mit einer optimistischen Zukunftsbetrachtung verbunden, doch seine ungeheure Geschwindigkeit und seine sichtbar werdenden Folgen führen zu einer immer vorsichtigeren, wenn nicht skeptischen Einschätzung der Entwicklung. Die sogenannten harten empirischen Tatsachen sind weicher, durchlässiger und dehnbarer geworden, seitdem wir uns in einer virtuellen Realität die Realitäten unserer Lebenswelt gefügig machen können (ganz zu schweigen von dem Phänomen des »Second Life«, das man sich im Internet aufbauen kann).«