In: FUGE Band 2, „Profane Zumutungen“, Paderborn, Schöningh, 2008, S. 76f.
AUTOREN
Terry Eagleton
Graham Ward
WARD: Ich möchte auf das bathos im Neuen Testament zurückkommen und insbesondere darauf, welche Rolle die Kreuzigung Jesu spielt. Sie scheint eine zentrale Rolle bei Ihnen zu spielen, besonders in SweetViolence, und zwar als Bezugspunkt von etwas Zivilisations-übergreifendem.
EAGLETON: Die Kreuzigung rückt in der Tat wieder ins Zentrum. Wenn das Gesetz wesentlich als satanisch aufgefasst wird – als strafend, rachsüchtig, sadistisch, kurz: als Über-Ich (das, was Freud eine »Reinkultur des Todestriebes « nennt) –, dann steht es in einer fatalen Komplizenschaft mit dem Begehren. Diese Komplizenschaft gründet in unserem ursprünglichen Masochismus, in unserem Wunsch, bestraft zu werden. Gesetz und Begehren stecken also unter einer Decke. Die Kreuzigung löst beziehungsweise dekonstruiert diesen pathologischen Knoten, denn sie enthüllt, dass das Gesetz nicht satanisch, sondern ein Gesetz der Liebe ist. Erstaunlicherweise ist es nicht das Gesetz, das sich Platz verschafft – was auf jeden Fall eine erfreulich unpostmoderne Sache ist. Indem du dem Gesetz der Gerechtigkeit und der Liebe treu bleibst, bringst du dich ans Kreuz. Jesus am Kreuz lässt nicht ab von seinem Begehren. Er kann es nicht. Dadurch wird er zum klassischen tragischen Helden, der siegt, indem er verliert – der ›erfolgreich‹ ist vermittels des Glaubens und der Entschiedenheit, mit denen er seinem eigenen Zusammenbruch und seiner Endlichkeit ins Auge sieht und sie annimmt. Mir missfallen gewisse solitäre, antisoziale Elemente, die Lacan in der Gestalt der Antigone sieht, aber dennoch denke ich, er hat an der Kreuzigung etwas Wichtiges erkannt. Das eigene Begehren nicht aufgeben, selbst wenn damit nichts für einen selbst zu gewinnen ist – das ist die Art von tragischer Leere, die einen am Ende lebendig machen kann.
WARD: Steht also die Kreuzigung gewissermaßen emblematisch für dieses Oxymoron in seiner dramatischsten Form?
EAGLETON: Ja, man muss sich hier einer gewissen Art von Deformation stellen, dem, was gemeinhin als Höllenfahrt bezeichnet worden ist. Die Begegnung mit dem grässlichen Schleim des Nihilismus, dem nackten, plappernden Spott derjenigen, die diabolisch an das Nichts gekettet sind. Ohne diese Höllenfahrt ist jede Erlösung wertlos. Sie wäre bloß eine weitere Dosis Refor-mismus, neuer Wein in alten Schläuchen. Die einzige Chance, dem Realen der Hölle zu ent-kommen, ist, ihm per impossibile ins Gesicht zu sehen, den Blick auf das Medusenhaupt der absoluten Vergeblichkeit zu richten. Das ist es, was für mich in Jesu Höllenfahrt zum Ausdruck kommt. Es muss wirklich und wahrhaftig eine Sackgasse sein, nicht nur das Simulakrum einer Sackgasse, wenn es tatsächlich die Pforte zu einer neuen, verklärten Existenz sein soll. Solange man noch nach dem Notausgang schielt, wird die Sache nicht funktionieren. Dann wird es keine Auferstehung geben. Man muss tatsächlich und wahrhaftig tot sein. Es reicht nicht, sich hinzulegen und tot zu spielen und auf den Ostermorgen zu warten. Es gibt einen emanzipatorischen Extremismus im Christentum, der meiner Ansicht nach in der Lacanschen Ethik des Realen einen Widerhall findet. Doch während die Lacansche Ethik eine heroische ist, ist Jesu Tod das genaue Gegenteil. Es gibt absolut nichts Heroisches an diesem erbärmlichen, schmutzigen Tod. Das ist ein enormer Unterschied. Im Lacanschen Erbe gibt es kein bathos, keine karnevaleske Dimension. Man kann sich den großen Jacques nicht auf einem Esel reitend vorstellen, wenn ihm auch zu Lebzeiten ziemlich oft Hosanna gerufen wurde.