Belgischer Schriftsteller
Michel de Ghelderode (1898–1962, eigentlich Adémar Adolphe-Louis Martens) war ein belgischer Schriftsteller und gilt als der wohl bedeutendste belgische Dramatiker des 20. Jahrhunderts. In seinen Stücken verbindet sich eine von Bosch, Breughel und Ensor inspirierte Bildwelt mit einer Inszenierung persönlicher Ängste und Obsessionen zu einem Theater, das sich, wenn auch nicht in einem streng Artaudschen, so doch in einem unmittelbaren Verständnis als »Theater der Grausamkeit« auffassen lässt. Seine in den 1920er und 30er Jahren entstandenen Stücke (u. a. Mademoiselle Jaïre, La Balade du Grand Macabre, Hop Signor!) fanden nach einem verspäteten Skandalerfolg auf den Pariser Bühnen in den 1950er Jahren weltweit Beachtung. Neben Höchstbewertungen, die Ghelderode neben Shakespeare und Calderon stellten, stand jedoch immer wieder schroffe Ablehnung seines als unzeitgemäß und gewollt obskurantistisch verschrienen Werks. Unter Ghelderodes Prosaarbeiten ragt die 1939–40 entstandene Erzählungssammlung Sortiléges et autres contes crépusculaires hervor, die als eines der Meisterwerke der französischsprachigen Phantastik des 20. Jahrhunderts gilt. Im bürgerlichen Beruf war Ghelderode Archivar in der Verwaltung eines Brüsseler Vororts. Seit Mitte der 1930er Jahre war sein Leben mehr und mehr von schweren psychosomatischen Krankheiten überschattet, durch die seine schriftstellerische Tätigkeit schließlich fast ganz zum Erliegen kam. Während der deutschen Okkupation Belgiens lieferte Ghelderode Beiträge für den von den Besatzern kontrollierten Rundfunk, was ihm nach Kriegsende den Vorwurf der Kollaboration eintrug. Misstrauisch und menschenscheu, legt doch ein mehrere tausend Sendungen umfassender Briefwechsel Zeugnis von Ghelderodes »Talent zur Freundschaft« ab. Rückblickend auf sein Leben hob er immer wieder seine Dankesschuld gegenüber seiner Ehefrau Jeanne hervor, mit der er 38 Jahre verheiratet war und in der er die eigentliche Ermöglicherin seines schriftstellerischen Werkes sah. In religiöser Hinsicht stehen bei Ghelderode nostalgisch-affektive Frömmigkeit und ein heftiger Antiklerikalismus oft dicht beieinander. Sein Werk jedoch ist in seiner Motivik und seinen Assoziationen ohne den Katholizismus weder denkbar noch verständlich.
Michel de Ghelderode in der FUGE:
Beitrag:
Die Erzählung Un Crépuscule, original erschienen in Sortilèges (1941), hier erstmals ins Deutsche übertragen von Andreas Fliedner unter dem Titel Eine Abenddämmerung